Industrie 4.0 – Revolution oder Evolution?

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Seit die industrielle Revolution im 18. Jahrhundert in England eingesetzt hat, hat sich die Produktivität der Menschheit stetig erhöht. Mechanisierung, Elektrifizierung und Automatisierung haben Fertigern, Handelsunternehmen und Dienstleistern nachhaltige Produktivitätssteigerungen und somit Wettbewerbsvorteile verschafft. Durch den bahnbrechenden Erfolg der Informationsverarbeitung, Computern und dem Internet könnte die Industrie und deren Vernetzung in den kommenden Jahren erneut beflügelt werden.

Um die physischen Produktionslandschaften mit der digitalen Informationssteuerung zu vernetzen und dadurch zu optimieren, hat die Bundesregierung die Initiative Industrie 4.0 ins Leben gerufen. Seitdem ist das Trendwort Industrie 4.0 in aller Munde. Sind dies bloß hohle Marketingversprechen? Wieviel Substanz steckt hinter dem Begriff? Und in wie fern sind klassische ERP-Systeme davon betroffen?

1. Was versteht man genau unter Industrie 4.0?

Mit dem Schlagwort Industrie 4.0 wird das Vorhaben beschrieben, Maschinen, Werkstücke und Menschen so miteinander zu vernetzen, dass sie intelligent, flexibel und autonom zusammenarbeiten.

Die wandelbare, intelligente Fabrik als Vorbild

Ziel von Industrie 4.0 ist die intelligente Fabrik („smart factory“), in der Maschinen und Werkstücke so miteinander interagieren, dass der Produktionsfluss in seiner Zusammenstellung flexibel angepasst werden kann, ohne  dass sich der Produktionsfluss in seinem Output-Takt ändert. Dabei wird der Produktionsprozess vom Produkt selbst und dem Zusammenspiel der relevanten Umgebungsinformationen gesteuert. Informationen bestehen in diesem Kontext aus strukturierten und unstrukturierten Datenmengen. Sie werden von Maschinen und Werkstücken über feinfühlige Sensorik aufgenommen, direkt an die Produktionsumgebung kommuniziert und in Echtzeit ausgewertet.

Zunehmende Autonomie für Produktionsmaschinen

Das Ziel ist eine Flexibilisierung der industriellen Fertigung und das Erzielen von Produktionsvorteilen durch eine modulare Produktionsstruktur. Zusätzlich sollen die Produktionsprozesse fortschreitend autonomisiert und automatisiert werden. Am Ende sollen die Maschinen selbst mit den Produkten in Kontakt treten und über die Produktqualität entscheiden können. Unter der Berücksichtigung weiterer Informationsfaktoren wie z. B. Auslastung oder Lieferzeiteinhaltung soll das integrierte ERP-System die entsprechenden Fertigungsschritte einleiten können.

Cyber-physische Systeme und das Internet der Dinge als Weichenstellung

Die technologischen Grundlagen, die dies ermöglichen, sind einerseits cyber-physische Systeme und andererseits das Internet der Dinge. Als cyber-physische Systeme bezeichnet man diejenigen Systeme, die sowohl aus softwaretechnischen, datenbezogenen Komponenten, als auch aus mechanischen, maschinellen Komponenten bestehen und über eine geregelte Datenstruktur miteinander kommunizieren. Als Internet der Dinge wird der Effekt beschrieben, dass nicht mehr nur Computer als Netzteilnehmer auftreten, sondern mehr und mehr maschinelle Komponenten oder einzelne Gegenstände, die mit Rechen- und Kommunikationseinheiten ausgestattet sind.

2. Vor welche Herausforderungen werden ERP-Systeme durch Industrie 4.0 gestellt?

Enterprise-Resource-Planning-Systeme sind für Unternehmen von zentraler Bedeutung. Sie dienen als Kernsystem, das sämtliche Daten verwaltet und eine konsistente Nutzung für alle weiteren Anwendungen sicherstellt. Die Änderungen in den Produktionsprozessen werden die ERP-Systeme nicht außer Acht lassen können. Als starke, zentrale Instanz für die Informationsverarbeitung und als Koordinationseinheit für die teilautonomen Komponenten werden ERP-Systeme jedoch nicht wegzudenken sein.

Durch Industrie 4.0 werden ERP-Systeme und ihre Funktionsweisen vor allem in den Bereichen Mobilität, Big Data, Vernetzung, Mensch-Maschine-Interaktion und Flexibilität herausgefordert.

Mobilität

Mobile Verfügbarkeit von ERP-Systemen wird für viele Benutzer immer wichtiger. Es werden bereits ERP-Applikationen für mobile Endgeräte auf dem Markt angeboten, jedoch sind diese meistens auf eine einzige Mobilplattform wie Apple iOS oder Android beschränkt. In der Praxis ist es jedoch verbreitet, dass Mitarbeiter ihre eigenen Mobilgeräte benutzen, was die Einführung eines mobilen ERP-Systems erschweren kann.

Cloud schränkt ERP-Funktionsbandbreite zwangsläufig ein

Zudem arbeiten mobile ERP-Applikationen in der Regel über die Cloud. Für schlanke ERP-Systeme mit wenig Individualisierungsbedarf mag das genügen. Aufgrund der komplexen Weiterverarbeitung der Daten durch Maschinen und Produkte ist ein hoher Standardisierungsgrad notwendig, der nur geringe Anpassungsmöglichkeiten zulässt.

Big Data

Big Data (verlinken auf Wissenspool oder Glossar) steht für die schnelle Verarbeitung von großen Mengen an strukturierten und unstrukturierten Daten. ERP-Systeme sind bereits sehr gut darin, strukturierte Daten zu verarbeiten. Das können zum Beispiel Kundenstammdaten oder monatlich eingegangene Bestellungen sein. Den größten Informationsvorteil erhoffen sich Entwickler jedoch von dem Austausch und der Auswertung von unstrukturierten Daten und deren Beziehungen untereinander. Dies können Emails, Kundenberichte oder Fehlermeldungen sein.

Intelligente Maschinen produzieren eine Vielzahl an Daten

Angetrieben durch die Mess- und Prüfsysteme cyber-physischer Maschinensysteme versucht die intelligente Fabrik alle relevanten Daten in Echtzeit auszuwerten und dem internen Lern-und Entscheidungsprozess zur Verfügung zu stellen. Zukünftig dürften die anfallenden Datenmengen dabei noch größer werden.

Vernetzung

Die Arbeitsweise durch Industrie 4.0 ist modularisiert aufgebaut. Ähnlich der SOA besteht die Produktionsstruktur aus vielen maschinellen Komponenten, die abhängig von Auftragslage und Ressourcenengpässen miteinander funktionieren müssen. Grundvoraussetzung ist hierbei die Vernetzung der einzelnen Komponenten. Für das zugehörige ERP-System bedeutet dies vor allem, dass eine hohe Integrationsfähigkeit entlang der inner- und überbetrieblichen Prozessketten benötigt wird. Dies umfasst die Einbindung sämtlicher Datenquellen. Durch diesen ständigen Austausch und die gleichzeitige Verarbeitung soll eine durchgängige Prozessunterstützung gewährleistet werden. Elementar für die Vernetzung von Datenbanken, Software und Maschinen sind einheitliche Schnittstellen.

Usability

Die Komplexität von Standardsoftware wie ERP-Systemen steigt stetig an – nicht nur für die Entwickler, auch für die Mitarbeiter im Unternehmen. Die zunehmende Digitalisierung der Geschäftsprozesse macht ERP-Systeme leistungsstärker in der Tiefe und in der Breite. Das bedeutet, die Systeme werden zunehmend komplexer und haben veränderte Anforderungen an die Mitarbeiter. Gerade neue Ansätze zur vereinfachten, intuitiven Bedienung wie rollenbasierte Oberflächengestaltung oder optimierende Workflows zur Anwenderführung werden zukünftig wohl noch effektiver werden.

Agilität

Eine generelle Herausforderung für ERP-Systeme sind Flexibilität und Anpassungsfähigkeit auf verschiedene Rahmenbedingungen. Gerade für autonom kommunizierende Maschinen und Geräte muss dies verstärkt gegeben sein. Denn die „intelligente Fabrik“ verspricht ja gerade deshalb so viele Vorteile, weil sie so flexibel und anpassungsfähig ist. Entsprechend muss das steuernde ERP-System ständig Ist- und Soll-Zustände vergleichen und auf sich verändernde Randbedingungen, wie Maschinenauslastung oder Werkzeugzustand, reagieren

3. ERP und Industrie 4.0 in der Praxis

In der Wirtschaft wird das Thema Industrie 4.0 sehr ernst genommen. Software-Entwickler und Anbieter verbessern stetig ihre Software-Lösungen und reagieren auf die sich verändernden Produktionsbedingungen. Lesen Sie mehr über aktuelle Trends im ERP-Bereich oder vergleichen Sie die aktuellsten ERP-Lösungen im Praxisvergleich:

ERP-Software im Vergleich

 

4. Fazit: Eher Evolution als Revolution

Mit Blick auf den Entwicklungshorizont von kommunizierenden Maschinen und Werkzeug im Zusammenspiel mit weitgehend autonom agierenden ERP-Systemen lässt sich zusammenfassen, dass sich das Vorhaben Industrie 4.0 noch in der Entwicklung befindet. Konzepte und Programme sind noch längst nicht ausgereift und werden ständig weiterentwickelt.

Auch wenn die Technologie im kommunikationstechnischen Rahmen revolutionär erscheinen mag, so reagieren die Softwareentwickler eher sukzessive – man könnte sagen evolutionär. Denn das Vorhaben Industrie 4.0 ist sowohl für das produzierende Gewerbe wie auch für die Software-Entwickler eine große Herausforderung, bei der sie sich Schritt für Schritt in Richtung „intelligente Fabrik“ bewegen.

 

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